TEIL EINS DIE ERSTE VERHANDLUNG

1

In seinem Haus in der Yehudi-Straße in Haifa, hoch über dem himmelblauen Mittelmeer, versuchte Richard Nordeschenko sein Glück mit der Königsindischen Verteidigung. Der Bauernhebel, Kasparows berühmter Angriff. Damit hatte Kasparow 1981 bei der russischen Meisterschaft Tukmakow auseinandergenommen.

Nordeschenko gegenüber saß sein Sohn, der auf den Bauern geschickt reagierte. Sein Vater nickte, erfreut über den Zug. »Und warum bietet der Bauer einen solchen Vorteil?«, fragte Nordeschenko.

»Weil er verhindert, dass du deinen damenseitigen Turm freistellst«, antwortete der Junge rasch. »Und du deinen Bauern zur Königin vorrückst. Richtig?«

»Richtig.« Nordeschenko strahlte seinen Sohn an. »Und wann hat die Königin die Macht bekommen, die sie bis heute noch hat?«

»Um fünfzehnhundert«, antwortete sein Sohn. »In Europa. Bis dahin bewegte sie sich nur zwei Felder rauf und runter. Aber …«

»Bravo, Pavel!«

 

Zärtlich zauste er durchs blonde Haar seines Sohns. Für einen Elfjährigen lernte Pavel schnell.

Der Junge blickte schweigend übers Brett, dann zog er seinen Turm. Nordeschenko merkte, worauf sein Sohn aus war. Einst war Nordeschenko in Glaskows Schachakademie in Kiew der Drittbeste gewesen. Doch er tat, als würde er die Absicht seines Sohnes nicht durchschauen, und setzte seinen Angriff auf der gegenüberliegenden Seite fort, indem er einen Bauern nach vorne zog.

Der Junge weigerte sich, das Angebot anzunehmen. »Du lässt mich gewinnen, Vater. Außerdem hast du gesagt, nur ein einziges Spiel. Dann würdest du mich unterrichten.«

» Dich unterrichten?«, foppte Nordeschenko ihn, wusste aber genau, was er damit meinte.
»Nicht Schach, Vater.« Der Junge hob den Kopf. »Poker.«
»Aha, Poker?« Nordeschenko täuschte Überraschung vor. »Um Poker zu spielen, Pavel, brauchst du einen Einsatz.«
»Ich habe was«, beharrte der Junge. »Ich habe sechs Dollar in Münzen. Die habe ich gespart. Und über hundert Fußballerkarten. Sind alle noch in super Zustand.«
Nordeschenko lächelte. Er verstand, was sein Sohn fühlte. Er hatte sein ganzes Leben über gelernt, den Vorteil zu nutzen. Schach war hart. Einsam. Wie ein Instrument spielen. Zahlenreihen, strenger Unterricht, Übung. Bis schließlich alle Möglichkeiten aufgesogen und im Gedächtnis fest abgespeichert waren. Bis man nicht mehr denken musste.
Ein bisschen so wie das Erlernen von Techniken, um einen Menschen mit bloßen Händen zu töten.
Poker hingegen war befreiend. Lebendig. Anders als beim Schach, spielte man nie zweimal auf die gleiche Art. Man brach die Regeln. Es setzte eine ungewöhnliche Kombination voraus: Disziplin und Risikobereitschaft.
Plötzlich durchschnitt die Glockenspielmelodie von Nordeschenkos Handy die Stille. Er erwartete einen Anruf. »Wir machen gleich weiter«, sagte er zu Pavel.
»Aber, Vater«, jammerte der Junge enttäuscht.
»Gleich«, wiederholte Nordeschenko, fasste seinen Sohn unter die Arme und schob ihn mit einem leichten Klaps fort. »Der Anruf ist wichtig. Kein Wort mehr.«
»Okay.«
Nordeschenko ging auf die Terrasse mit Meerblick hinaus und klappte sein Telefon auf. Nur eine Hand voll Menschen auf der Welt hatten diese Nummer. Er ließ sich auf einen Liegestuhl fallen.
»Hier ist Nordeschenko.«
»Ich rufe im Namen von Dominic Cavello an«, meldete sich der Anrufer. »Ich habe einen Auftrag für Sie.«
»Dominic Cavello? Cavello ist im Gefängnis und wartet auf seine Gerichtsverhandlung«, erwiderte Nordeschenko. »Und ich habe bereits genügend Auftragsangebote.«
»Aber keines wie dieses«, sagte der Anrufer. »Der Pate verlangt ausschließlich Sie. Nennen Sie Ihren Preis.«

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